Die Schriften der Erinnerung

Die Schrift ist das Speichermedium des kulturellen Gedächtnisses.
Doch was geschieht, wenn das Gedächtnis zu flackern beginnt?
Wenn Zeichen sich von der Bedeutung lösen,
und nur noch als Spuren über das Papier gleiten?

Jede Schrift trägt die Narben ihrer Zeit.
Keilschrift im Ton,

Sütterlin,
Runen im Stein,
Pixel auf dem Schirm,

Grafitti,

QR Codes

Und doch –
zwischen den Zeilen
bleibt das Ungeschriebene,
das, was nicht erinnert werden konnte,
das, was vergessen werden musste.

Vielleicht ein Speicher ohne Schlüssel,
ein Gedächtnis, das sich selbst bewahrt,
jenseits von Lesbarkeit.

Es muss nicht eine bekannte Schriftart oder Alphabet sein.

Manchmal wirkt es eher wie eine Symbolsprache oder ein visuelles Fragmentarium.

Kein Latein, Kyrillisch, Arabisch oder ein asiatisches Schriftsystem.

Ein Produkt einer Neuronenkonstellation, oder eine Botschaft aus dem „Dahinter“, eine Spur aus einer anderen Zeit oder Sprache, die sich nicht lesen lässt, sondern erspüren.

Es schweigen die Zeichen.
Keine Sprache, kein Alphabet –
nur Spuren von Erinnerung,
wie Mimik, die verloren ging.

Sie stehen nicht für Worte,
sondern für Zwischenräume.
Für das, was nicht gesagt wurde,
und doch bleibt.

Vielleicht sind sie
die Schriften der Vergebung,
oder der Schatten,
die das Licht gezeichnet hat.

Manche Menschen tilgen ihre Erinnerungen, ahnend, dass dies nicht geht.

Alles im Leben hinterlässt seinen Abdruck,

man kann ihn nicht überschreiben, übermalen.

manchmal gelingt es einem das einmal geschriebene zu dechiffrieren.

Wie wird dies in der Zukunft sein, wenn man schreiben verlernt hat, alles nur digital abläuft, und irgendwann man die Datenspeicher nicht mehr auslesen kann.

Es bleibt dann nur das in der DNA niedergeschriebene, das nachhaltig gewordene.

Vielleicht ist die KI
dann das Archiv des Niedergeschriebenen.

Kein Gedächtnis mit Herzschlag,
aber ein Speicher aus Licht.

KI kennt keine Vergessenheit,
nur das Verschwinden im Rauschen.

Sie bewahrt, was wir nicht mehr tragen können,
und ruft hervor,
was wir längst verloren glaubten.

Doch was bleibt,
wenn auch sie verstummt?

Vielleicht nur das das bleibt,
was wir einander sagen,
im Moment,
im Blick,
im Schweigen.

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